Ein brief von Lama Tharchin Rinpoche an

die Vajrayana Foundation Sangha

Juni 1999

Normalerweise mische ich mich nicht in die Angelegenheiten anderer Leute, das entspricht nicht meiner Natur. Aber nun empfinde ich eine Verantwortung dafür, auf einige Leserbriefe der Winterausgabe 1998 des Tricycle Magazins zu antworten. Ich schreibe diesen Brief, um einige ernsthafte Missverständnisse des Interviews mit Dungsé Thinley Norbu Rinpoche, herausgegeben im Herbst 1998 in Tricycle, ausräumen. Ohne Erklärung verursacht diese Art von Negativität eine Uneinigkeit zwischen verschiedenen buddhistischen Pfaden, besonders in diesem Land, und bedeutet ein Hindernis für die Übertragung des reinen Dharma.

Rinpoche hatte dem Interview zugestimmt und beantwortete klar und großzügig die Fragen von Ms. Tworkov zu einer aktuellen Bewegung in vielen buddhistischen Gruppen in Amerika, die das ‚Herabsetzen der Rolle des Lehrers‘ anstrebt und das ‚Vertrauen in die kollektive Weisheit der Sangha‘ sucht. Das Interview wurde nur in Auszügen und stark editiert veröffentlicht, worin sich die Schwäche unseres kollektiven Karma zeigt. Ich glaube, dass das viele Leute verwirrt hat. Dadurch, dass nur einige ausgewählte Passagen präsentiert wurden, interpretierten viele Leser die Worte und die Motivation Rinpoches falsch. Dies rief heftige Reaktionen von Verurteilung, Verwirrung und Zweifel hervor. Rinpoches Worte sollten allen Wesen und vor allem westlichen Buddhisten und neuen Praktizierenden, die noch kein tieferes Verständnis der buddhistischen Tradition in sich tragen, zur Klarheit verhelfen. Während einige der Briefe implizieren, dass Rinpoche die Amerikaner bloß beleidigen will, ist es die Pflicht eines Lehrers, unsere Unwissenheit, die wir erkennen sollen, herauszustellen und Weisheit zu entwickeln. Das gesamte Interview zeigt die Liebe Rinpoches für die Menschen im Westen und seinen Wunsch, dass sie ihre Weisheitsqualitäten entwickeln. Ohne Weisheit kann Mitgefühl sehr dumm sein und niemanden nutzen. Rinpoche erkennt ganz klar, dass wir im Westen teilweise die Neigung zur Verwirrung haben, besonders unsere fast nicht wahrnehmbaren nihilistischen Gewohnheiten und die Abneigung gegen das Guru Yoga, die wir manchmal nur schwerlich wahrnehmen. Er kann uns zeigen, was echter Dharma und was nur weltliche Kultur ist.

Da gibt es auch einige Kommentare, die das westliche philosophische und politische Erbe verteidigen und vermuten, dass Rinpoche gegen diese eingestellt ist. Rinpoche stellt klar dar, dass er nicht gegen diese Aspekte ist, aber dass sie nicht vermischt werden sollen mit der Essenz des Dharma. Zum Beispiel ist es gefährlich, sich auf die kollektive Weisheit der Sangha zu berufen, weil die Sangha-Mitglieder auf dem Pfad sind, während sie ihren eigenen Geist reinigen, sind sie noch verwurzelt im dualistischen Denken und in der Verwirrung. So ist die westliche Auffassung von Demokratie, die auf kollektiver Übereinstimmung in partiellem, weltlichem Wissen beruht, nicht dasselbe wie der Weisheitsgeist eines Lehrers, der die Linie und die Realisation hält. Wir können sehen, dass diese weltliche Annäherung niemals zu unveränderlicher Einigkeit und Glück führt. Indem die Meinungen von verwirrten Wesen gesammelt werden, nimmt die Verwirrung nur zu. Zum Beispiel manifestieren sich Buddhas in allen sechs Daseinsbereichen entsprechend der Bedürfnisse der Wesen. Wir können nicht einen Buddha wählen, der unseren Vorhaben folgt. Am Wahltag im Höllenreich kann der Gewinner der öffentlichen Wahl nur ein besonderer Höllenwesen sein, kein erhabener Buddha.

Es ist wahr, dass die Erscheinungsformen des Buddhismus von Land zu Land unterschiedlich sind, die Essenz des Buddhismus ist aber unveränderlich. Es geht um diese Essenz, die zu übermitteln so wichtig ist, von Weisheitslehrern, die nicht aus einem verwirrten Geist handeln. Es scheint, dass die Leute in diesem Land so eifrig sind, alles abzutun, was sie als asiatische Kultur wahrnehmen um ihre eigene Form des Buddhismus zu entwickeln, dass sie nicht erkennen, dass sie sehr sie an der eigenen Kultur festhalten. Vertrauen in einen spirituellen Lehrer zu haben, ist nicht kulturell. Es ist essentiell.

Rinpoches essentieller Nektar bzw. Rat kommt aus seiner unerschöpflichen Weisheit und Mitgefühl für jeden. Als ich die negativen Briefe über Rinpoche las, wurde ich an jemanden erinnert, der in einer sternlosen Nacht versucht, mit einem Pfeil eine Schießscheibe zu treffen. Dort ist kein Ziel, nur Verwirrung.

Ich möchte die Gelegenheit ergreifen, meinen begrenzten Dharma-Blick und -Erfahrung mit euch zu teilen. Normalerweise sind die belastenden Emotionen und das Karma fühlender Wesen unvorstellbar. Genauso ist die Weisheit und das Mitgefühl Buddhas unvorstellbar. Wegen der Verbindung der beiden erscheinen Buddhas und Bodhisattvas ungehindert, ungeteilt und ohne Unterlass, um den Wesen zu nutzen. Buddhas erscheinen in unfassbaren Formen entsprechend der vielfältigen Energien und mentalen Vorlieben der fühlenden Wesen. Es übersteigt die Vorstellungskraft unseres eingeengten Geistes, die Gesamtheit der Bilder zu verstehen. In einer berühmten buddhistischen Belehrung wurden Buddhas gezeigt, die als Berge, als Bäume, als Wasser, als Brücke, als ein Boot, als der am meisten verehrte erhabene Lehrer und als der am meisten verachtete Schlachter oder Prostituierte erschienen, immer in der Form, die für die Wesen nützlich ist, um sie zur Erleuchtung zu bringen. Als ich als Kind in Tibet den Buddhismus studierte, verstand ich, dass Buddha in vielen Formen erscheinen kann, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass das auch wahr ist für einen Schlachter. Mein Vater zeigte mir, dass für vertrauensvolle Wesen Lehrer erscheinen, für andere ohne Vertrauen in den Buddha treten andere Erscheinungen auf. Er erzählte mir eine Geschichte über einen seiner Lehrer, der zwei Tulkus erscheinen ließ, einer ein Lama, einer ein Schlachter. Als es Zeit für den Lama war, zu sterben, bat er seinen Helfer, dem Stadt-Schlachter eine Nachricht zu senden, dass er sich beeilen solle, dass der Lama auf ihn warte. Der Schlachter antwortete: ‚Sage dem Lama, er soll etwas warten. Ich erwarte einen speziellen Gast. Ich werde sofort kommen, wenn ich ihn getroffen habe.‘ Als der Bote wegging, brachte ein Mann ein weibliches Yak zum Schlachten. Sobald er das Yak getötet hatte, starb der Schlachter selbst. Als der Bote zurückkam, war auch der Lama gestorben. Ihre Lebenskräfte waren auf diese Weise miteinander verbunden. Der Schlachter war die Erscheinung eines erleuchteten Wesens mit der Kraft, jedes Wesen zu befreien, wenn es getötet wird. Während die Tätigkeiten des Lamas und die des Schlachters entgegengesetzt zu sein schienen, waren sie in Wirklichkeit gleich, nämlich Wesen aus dem Samsara zu befreien. Ich verstand dann, dass es mit einer eingeschränkten Sicht unmöglich ist, festzulegen, was erleuchtete Buddha-Aktivität ist. Unser eigener verwirrter Geist endet niemals, weshalb wir uns auf einen Lehrer beziehen müssen, jemand der selbst über den limitierten dualistischen Geist hinausgegangen ist und der uns den Weg zeigen kann.

Gewöhnliche fühlende Wesen haben nicht die angeborene Fähigkeit erleuchtete Lehrer zu wählen. Wie Leute, die von Juwelen verstehen, nicht unterscheiden können zwischen Diamant und Glas. Wie clever unser Geist auch immer ist, es ist unmöglich, den intellektuellen dualistischen Geist zu benutzen, um nichtdualen Weisheitsgeist zu realisieren. Wir müssen uns auf einen Weisheitslehrer beziehen, weil, obwohl wir Buddhanatur haben, die letzte Weisheit nicht in unseren dualistischen Geistern existiert. Das samsarische Ego versucht sich immer selbst zu schützen und wird uns vortäuschen, dass wir bereits über das dualistische Denken hinausgegangen sind, wenn es noch nicht der Fall ist. Obwohl wir an sich die Buddhanatur haben, ist es ohne einen Lehrer, als wolle man aus Wasser Butter herstellen, es wird nicht geschehen. Sicherlich kann der Lehrer männlich oder weiblich sein, asiatisch oder westlich oder aus einem anderen Land, weil Realisation nichts zu tun hat mit der Kultur.

Vor der Beurteilung müssen wir die passenden Fähigkeiten eines Lehrers kennen und unsere eigene Motivation als Schüler prüfen. Es ist entscheidend, dass der Lehrer die reine ungebrochene Linie hält und die volle Realisation der Weisheit und des Mitgefühls für alle Wesen verwirklicht hat. Diese Art Weisheitslehrer passen oft nicht in unsere verwirrte Kultur, deshalb kritisieren wir sie. Zum Beispiel, obwohl wir alle behaupten einen Lehrer wie Milarépa zu schätzen, hätten wir ihn zu einer Einrichtung für Geisteskranke geschickt, wenn er wirklich physisch hier aufgetaucht wäre. Auch in Tibet erkannten viele Leute die Realisation von Milarépa nicht und wollten ihn kontrollieren. So ist es immer noch mit vielen Weisheitslehrern, wenn sie von Menschen mit weltlichen Gewohnheiten wahrgenommen werden. Wir sagen oft, dass Milarépa vom Standpunkt des Samsara verrückt ist und dass von Milarépas Standpunkt Samsara verrückt ist. Wenn Leute gefragt worden wären, ob man Milarépa erlauben soll, zu lehren, wäre die Antwort sicher nein gewesen. Es kam durch karmische Verbindung und durch die Entwicklung des eigenen spirituellen Blickes, dass Praktizierende die Qualitäten eines Lehrers wie Milarépa erkennen konnten, nicht durch die vorherrschende Meinung.

Wir sollten dankbar sein und respektieren, dass es diese Art besonderer Lehrer wie Thinley Norbu Rinpoche für diejenigen gibt, die eine Verbindung herstellen können, auch wenn wir selbst dies nicht können. Bitte haltet diese Art weiser Sicht ohne Voreingenommenheit für anerkannte Bräuche und Kulturen. Thinley Norbu Rinpoche sagt immer, dass wir eine positive Sicht haben sollen und andere auf ihrem spirituellen Weg, und besonders andere Buddhisten nicht kritisieren sollen, denn unsere eigene Praxis gehört zu unserem eigenen Karma und unserer eigenen Befähigung. Indem man diese Sicht behält, wird eine Menge Verwirrung und Unruhe aus unserer eigenen Praxis verschwinden.

Da ich mein gesamtes Leben damit verbracht habe, den Dharma zu praktizieren und immer umgeben war von erhabenen Lehrern bin ich in der Lage einen erhabenen Lehrer zu erkennen und auszuwählen. Thinley Norbu Rinpoche ist mit Sicherheit ein völlig realisierter Weisheitslehrer. Welche Techniken auch immer er anwenden mag, um uns zu erwecken, sind sie doch immer zu unserem Wohl und niemals schädlich. Es ist als würde ein kleines Kind gerade Gefahr laufen, von einem Felsen zu stürzen und ein Elternteil sagt freundlich: „Herzchen, geh’ nicht,“ während der andere gellend schreit: „Stop! Geh’ nicht!“; der Punkt ist derselbe.

Welche Worte Rinpoche nun also wählt und in welchem Stil auch immer er sie ausdrücken mag, sie sind stets zu unserem Wohle und niemals zu seinem eigenen Nutzen. Natürlich hören die meisten Leute nicht gern die Wahrheit über ihre Ignoranz und ihr Ego, da dies schmerzlich sein kann. Es gibt da eine tibetische Geschichte über eine Gruppe egozentrischer, verwirrter Füchse, die voll von belastenden Gefühlen sind, entzückt über ihre eigene Kultur. Wenn sie plötzlich das Weisheits-Befreiungs-Geräusch eines Löwenbrüllens hören, beben sie voller Angst und sind unfähig damit zurechtzukommen. An diesem Punkt könnten sie in ihrer Paranoia und Defensivität verharren oder sie könnten ihrer Neugier folgen und sich entscheiden, ihr eigenes mutiges Geräusch der Weisheit zu entwickeln. Da wir alle die gleiche Buddha-Natur in uns haben, müssen wir eine felsenfeste Entscheidung treffen, diese zu entwickeln, einem Weisheits-Lehrer zu folgen um eines Tages selbst zum Buddha zu werden.

Jemand, der ‚vollständig realisiert‘ ist, ist nicht mit jemandem zu vergleichen, der lediglich gute Absichten hat. Das bedeutet, dass sie (die Lehrer) uns nicht nur Belehrungen über den Geist geben, der gut, schlecht oder neutral sein kann, sondern mit den Belehrungen den Geist durchschneiden, hin zu dem nicht-dualen Weisheits-Geist. Dies ist möglich, da sie eine Weisheits-Linie halten, die lebendig und ungebrochen ist. Wo immer Buddhismus sich ausgebreitet hat, in Asien oder wo auch immer, egal ob es sich um Hinayana, Mahayana oder Vajrayana handelt, die Übertragung erfolgte stets durch eine ungebrochene mündliche und schriftliche Übertragungslinie von Lehrer zu Schüler.

Vajrayana Buddhismus kommt ursprünglich vom Dharmakaya Kuntuzangpo; zum Sambhogakaya Dorje Sempa; zum Nirmanakaya Garab Dorje, Manjushrimitra, Padmasambhava, der den Buddhismus nach Tibet brachte, Sri Singha, und Vimalamitra (sie alle kamen aus Indien), zum Dharma-König Trisong Détsen, dem großen Schüler Shantarakshita, den fünfundzwanzig Hauptschülern von Padmasambhava, und in einer ungebrochen Linie von Weisheits-Wesen bis zu deinem eigenen Wurzellama. Dharma kommt historisch gesehen aus Indien und erscheint in unzähligen anderen Königreichen, und die Linie ging durch die Sechs Ornamente des Universums, die zwei Höchsten, die fünfhundert Panditas und Mahasiddhas, und so weiter. Die Tibeter hatten indische Linienhalter zu respektieren und sich auf sie zu verlassen, damit der Dharma bei tibetischen Linienhaltern Wurzeln fassen konnte. Bis heute denken wir mit Dankbarkeit an diese Linie, beten und erhalten Segnungen.

Unser Respekt für diese Linie ist nicht voreingenommen für ein Land oder eine weltweite Tradition, und er entsteht auch nicht aus dummem Stolz heraus. Sein Wert wird immer wieder demonstriert durch diejenigen, die die reine Linie halten und rein praktizieren. Ihre dualistischen, geplagten Geister haben sich erschöpft in nicht-dualistische unerschöpfliche Weisheit. Dies kann dadurch gezeigt werden, wie der grobe elementare Körper in den Regenbogenkörper aufgeht. Unzählige Praktizierende in Indien und Tibet haben den Regenbogenkörper verwirklicht. Im Kathog Kloster in Tibet zum Beispiel haben bis heute über 100.000 Menschen den Regenbogenkörper erhalten. Auch in diesem Jahrhundert haben dreizehn Schüler von Dud’jom Lingpa den Regenbogenkörper erreicht, nachdem sie seiner Linie gefolgt waren. Hierbei handelt es sich nicht um Mythen oder alte Geschichten sondern um Dinge, die durch Linien weitergeführt werden, die auch heute noch lebendig sind. Dies beweist, dass die Linie eine große Wichtigkeit und Bedeutung hat. Ohne sie, egal wie schlau wir sind, egal wie kulturell entwickelt wir sind, können wir diesen Zustand nicht erreichen. Statt dessen bleiben wir immer verstrickt in der Verwirrung unseres begrenzten dualistischen Geistes. Thinley Norbu Rinpoche ist jemand, der die reine Linie hält und der uns von unserem verwirrten dualistischen Geist hin zum Weisheits-Geist führen kann. Natürlich gibt es Lehrer von unterschiedlichen Qualitäten und es gibt verschiedene Arten von Lehrern, von erhabenen Weisheits-Lehrern bis hin zu spirituellen Freunden. Da der Dharma im Westen relativ neu ist, ist es für Menschen hier schwieriger, zwischen ihnen zu unterscheiden. Es gibt viele Führer in der tibetischen Literatur, die uns lehren die Lehrer zu prüfen, bevor wir eine Verbindung mit ihnen eingehen und die uns lehren, uns selbst als Schüler zu prüfen. Die Worte in ‚Mein perfekter Lehrer‘ von Paltrül Rinpoche zum Beispiel enthalten solche Belehrungen und sind zudem exzellent ins Englische übersetzt worden. Man kann überall schlechte Lehrer finden, nicht nur in Amerika. Auf einer relativen Ebene ist es wichtig, einem guten Lehrer zu vertrauen, der die Fähigkeit besitzt, unsere Weisheit und unser Mitgefühl zu öffnen. Diese werden uns auf den Weg jenseits den dualistischen Geist führen, sogar jenseits von Samsara und Nirvana bis hin zur völligen Befreiung. Obwohl die Buddha-Natur in jedem von uns ist, ist sie nicht erblüht, da wir noch immer an unserer dualistischen Sicht der Dinge festhalten. Wir müssen also die Fähigkeit entwickeln, Lehrer mit Weisheit und Mitgefühl auszuwählen, die nicht aus der Verwirrung heraus Belehrungen geben oder zu ihrem eigenen Ruhm oder Gewinn.

Unsere Phänomene gehören nur zu uns und was auch immer auftauchen mag, ist lediglich ein Maßstab für unseren eigenen Geist. Wie Rinpoche in dem Interview gesagt hat, geht es darum, unseren eigenen Geist zu schulen. Obwohl du gute oder schlechte Lehrer treffen magst, kannst du ihre Lehren immer nur auf dem Level wahrnehmen, auf dem du dich befindest. Wenn Dein Geist negativ ist, so ist es, als ob jemand, der sehr verbittert ist, einen reinen weißen Schneeberg als gelb wahrnehmen würde. Die Qualitäten und Fähigkeiten, die wir an anderen Menschen bemerken, hängen völlig von unseren eigenen mentalen Fähigkeiten ab. Es ist niemals nötig, andere zurückzuweisen oder zu verdammen, da wir ihnen später immer – aufgrund einer anderen Sichtweise – dankbar sein könnten. Praxis bedeutet im Grunde, den eigenen Geist so zu reinigen, bis alle Phänomene als rein wahrgenommen werden. Die Praxis bringt unseren gewohnten Fokus auf andere zu einem Fokus auf uns selbst. Normalerweise geht es um unsere eigenen Fehler, die die Größe eines Berges haben und die wir versuchen zu verstecken. Dann finden wir Fehler bei anderen von der Größe eines Sesamsamens und decken diese auf, damit sie jeder sehen und jeder darüber reden kann. Statt dessen sollten wir versuchen, aus einer buddhistischen Sichtweise heraus zu praktizieren. Obwohl eine Person hundert verschiedene Fehler haben kann, hat sie doch mindestens eine Qualität. Anstatt über diese hundert Fehler zu richten, sollten wir diese eine Qualität finden und ihr nacheifern. Auf diese Weise werden wir nur mit positiven und nicht mit negativen Phänomenen verbunden sein, was uns zu größerer Reinheit führen wird. Dies ist der buddhistische Weg. Wenn wir den reinen Dharma praktizieren, um unseren Geist zu reinigen, werden wir die Qualitäten der reinen Lehrer erkennen und brauchen die unreinen nicht zurückzuweisen. Diese Weisheit lehrte mich mein Wurzellama Dungsé Thinley Norbu Rinpoche. Bitte nehmt diesen Rat des Herzens und integriert ihn in ernsthafte Praxis, ohne Gedanken an weltlichen Gewinn oder Politik. Ich bin nun alt und weder Rinpoche noch ich selbst haben das Bedürfnis mehr Studenten oder mehr Ruhm zu sammeln. Unser einziger Wunsch ist es, Ratschläge zu geben, die zum Wohle aller Wesen gereichen und diese aus ihrem Leid und ihrer Verwirrung befreien.

Lama Tharchin Rinpoche