Mein Rat an mich selbst

von Dza Paltrül Rinpoche

Mein einziger Lama und Yidam – Dorje Sempa – sitzt auf einem Vollmond-Lotus aus weißem Licht in der Blüte seiner Jugend. Denk an mich Dorje Sempa, unbewegt verbleibend — so wie du bist — in der offenkundigen glückseeligen Leere des Mahamudra.

Hör zu Paltrül, du Tagträumer, der du gefangen best in deiner konditionierten Wahrnehmung und den darauf basierenden Reaktionsmustern – für wie lange warst du verzaubert, getrieben und verwirrt durch die Erscheinungen? Ist dir klar, dass du dich — in diesem Augenblick — im Banne des Dualismus befindest? Gib acht, und versuche dein unwirkliches und leeres Leben nicht so ernst zu nehmen.

Dein Geist kreist um alle möglichen Projekte – doch die sind alle nutzlos, und du kannst sie genau so gut aufgeben. Betrachtet man die Fülle von Plänen welche du zu verwirklichen gedenkst – wirst du jemals Zeit haben diese zu vollenden? Die Vorschläge die du machst sind eine Belastung – unter ihrem Gewicht wirst du nur zunehmends abgelenkt. Projekte finden niemals ein Ende, sie setzen sich fort wie Wellen an der Wasseroberfläche, gib also nur ein einziges mal Deine Lächerlichkeit auf und sitze. Denk an die Belehrungen welche du gehört hast, hunderte von ihnen – worin liegt der Sinn weitere zu hören wenn du die Bedeutung der allererste Belehrung die du jemals gehört hast nach wie vor nicht verstanden hast?

Welchen Sinn macht es über Belehrungen zu reflektieren, wenn du diese bei Bedarf nicht anwendest? Es mag sein, dass du entsprechend den Anweisungen meditierst – aber deswegen wird dein Geist nicht ungetrübt. Wenn du nicht einmal die kyé-rim–Visualisierungen beherrschst, dann kannst du gut und gern die Arithmetik der von dir rezitierten Mantas vergessen. Es mag ja sein, dass du die Yidams klar sehen kannst – aber du gehst nie über Subjekt und Objekt hinaus. Vielleicht zähmst du jene Erscheinungen, welche du ‘böse Geister’ nennst – aber du kannst deinen Geistesstrom nicht zähmen

Vergiss deine vier akribisch genau geplanten drüpthab–Sitzungen. Die sind für dich nutzlos. Wenn du gut gelaunt bist scheinst du Klarheit zu besitzen – aber du kannst dich nicht entspannen. Wenn du deprimiert bist erscheint deine Meditation stabil – aber es fehlt an sprühender Präsenz. Was dein Gewahrsein betrifft – es ist als ob du versuchen würdest ein Objekt mit einem stumpfen Pfahl aufzuspießen: Du erzwingst nur Zustände die vage an Rigpa erinnern. Vergiss all die yogischen Positionen und Blicke welche angeblich deinen Geist stabilisieren – das sind alles nur Hilfsmittel

Wenn du grandiose Belehrungen gibst so befreit dies nicht deinen Geistes-Strom. Dein analytisches Denken mag präzise und intelligent wirken – aber es ist nur eine andere Form von Wahnvorstellung, an der nicht sehr viel mehr empfohlen werden kann als an Ziegenkot. Vergiss die mündlichen Unterweisungen, denn—so tiefgrüdig diese auch sein mögen—wenn du sie nicht in die Tat umsetzt dann bewirkt ein wiederholtes Lesen der Texte nur, dass dein Augen sich zu sehr anstrengen.

Die Leute mögen es ja bezaubernd finden, wenn sie hören wie du das Damaru spielst – aber deine Liturgien in denen du deinen Körper als Opfer darbringst sind völliger Unsinn, wenn du offensichtlich weiterhin so sehr daran hängst. Du kannst deine Tingshars schon zusammenschlagen – aber da es dir nicht gelingt den wahren Zweck dieser Übung im Sinne zu behalten – könntest du genau so gut auf solch schicke Praxisgegenstände verzichten.

Deine Schüler scheinen hart zu studieren – aber sie können ihre Aufmerksamkeit nicht aufrecht erhalten. Heute scheinen sie zu verstehen – aber morgen ist vielleicht nicht mal mehr ein Hauch von Verständnis übrig. Selbst wenn ein Student etwas zu lernen scheint, dann hat das nur selten einen Einfluss auf sein Verhalten – also vergiss diese eleganten akademischen Disziplinen.

Vergiss diese ‘guten Freunde’ und die lächelnden Gesichter die sie zur Schau stellen. Dieses Jahr bist du ihnen wichtig – und nächstes Jahr bist du ihnen völlig egal. Heute scheinen sie bescheiden und gehorsam zu sein. Aber schon Morgen sind sie aufgeblasen und distanziert, und je mehr Anerkennung und Wertschätzung du ihnen zeigst – desto mehr entfernen sie sich von dir.

Vergiss auch deine Freundin. Ihr Lächeln erscheint voller Freude – aber wer weiß schon was wahr ist? In einem Moment ist es vielleicht vollkommener Genuss – aber später werden daraus neun Monate der Trauer. Diese Affaire ist vielleicht gut für einen Monat, aber früher oder später wird es Probleme geben – und dann werden die Leute dich verspotten und dein Geist wird ein Gefangener der Verzweiflung.

Was diese endlosen Gespräche voll von Anziehung, Abstoßung und Gleichgütigkeit betrifft; sie scheinen in dem Augenblick so unterhaltend zu sein – aber sie bewirken nichts anderes als dass sich der Unrat der unnötigen Fehler der Menschen verbreitet. Deine Zuhörer mögen höflich und aufmerksam erscheinen – aber du bist ihnen peinlich und sie schämen sich für dich. Vergiss also dieses sinnlose Geschwätz – es dient nur dazu dich durstig zu machen

Verzichte darauf hochtrabend über Meditationstexte zu sprechen, wenn du keinerlei wirkliche Erfahrung in der Praxis hast. Die Leute mögen mit Hingabe zuhören – aber was du darbietest ist nicht echt. Es ist nichts anderes als wenn man eine Gebrauchsanweisung zum Tanzen rezitieren würde – und dann so tut als ob darin das eigentliche Tanzen bestünde. Früher oder später — wenn deine Handlungen dem Dharma widersprechen — wirst du dich schämen, dass du mit ach so eloquenten Worten diese Erklärungen gegeben hast.

Wenn du keine Texte hast, dann sehnst du dich nach ihnen – aber wenn du den Text bekommst den du möchtest, dann wirfst du kaum einen Blick darauf. Es mag sich nur um eine geringe Anzahl an Seiten handeln – aber es scheint nie die Zeit zu sein diese abzuschreiben. Aber selbst wenn du jeden Text den es gibt abschreiben würdest, so würde deine Gier nicht befriedigt werden. Texte abzuschreiben ist reine Zeitverschwendung – also wenn du gerade mal nicht dafür bezahlt wirst, dann vergiss es einfach.

Heute sind die Menschen vielleicht glücklich – aber schon morgen—je nach ihren Stimmungsschwankungen—könnten sie genau so gut über irgendetwas zornig werden. Sie sind nie zufrieden, und selbst wenn es ihnen einigermaßen gut geht dann sind sie mit größter Wahrscheinlichkeit gerade dann nicht für dich da, wenn du sie am meisten brauchst – also vergiss sie einfach, oder sie werden dich weiterhin enttäuschen. Vergiss künstliche Höflichkeit und affektierte Freundlichkeit Paltrül, du komischr Kauz – religiöse Arbeit ist das Terrain des Adels – und nicht dein Revier.

Hast du nicht bemerkt, dass sobald du dir die Mühe gemacht hast für dein Dri ein altes Yak auszuborgen, dieses scheinbar jedweder Leidenschaft beraubt wurde und nur noch schlafen möchte. Genau so solltest du auch sein – nur noch schlafen, essen, urinieren und defäkieren. Diese Dinge sind unvermeidbar. Alles andere im Leben ist nicht verpflichtend, daher gibt es keinen Grund sich weiter zu involvieren. Daher schlafe – oder sei unauffällig.

Du bist oft der Geringste in deiner Gesellschaft – nimm also den niedrigsten Platz ein; aber falls dir ein höherer Platz angeboten wird – versuche zu vermeiden dich selbst zu wichtig zu nehmen. Es gibt keinen unwiderlegbaren Beweis dafür dass es wichtig wäre Freunde zu haben – du bist besser dran wenn du mit dir alleine bleibst. Wenn du dich ohne gesellschaftliche und religiöse Verpflichtungen wiederfindest, so vermeide es diese künstlich zu generieren.

Du weißt schon … wenn du einfach nur losläßt – das ist wirklich der entscheidende Punkt.

 

Geschrieben von Tri’mèd Lödrö (Paltrül Rinpoche) an seinen engen Freund Ahu Shri (ebenfalls Paltrül Rinpoche) um ihm einen Rat zu geben, der exakt an seine Kapazitätat angepasst ist und auch so umgesetzt werden sollte. Allerdings – da du nicht weißt wie man praktiziert– lass einfach nur los. Falls dir das nicht gelingen sollte, bitte ärgere dich nicht. Recht so!