Zuflucht

von Ngala Nor’dzin Pamo

Für viele von uns ist Zuflucht eine Zeremonie, an der wir teilnehmen, wenn wir Buddhisten werden. Wir bekommen einen Zufluchtsnamen als Symbol für das Ende unseres alten Lebens und für den Beginn unseres neuen Lebens als Praktizierende. Wir betrachten es vielleicht als einen Zustand, den wir dadurch erreicht haben, dass wir Zuflucht genommen haben. Und danach denken wir möglicherweise nicht mehr viel darüber nach, sondern betrachten es als Teil der Basis dessen, wer wir als Buddhisten sind. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn wir in einer Tradition wie der Aro gTér-Linie praktizieren.

Der Aro gTér betrachtet jeden Aspekt von Methode aus der Perspektive von Dzogchen. Aus diesem Grund sind die Praktiken essentiell und Zuflucht ist ganzheitlich (ohne das spezielle Singen der Zuflucht und der Erzeugung von Bodhicitta am Anfang eines drüpthab). Weil das so ist, kann es sein, dass wir die Zuflucht völlig vergessen. Obwohl man auch sagen kann, dass unser Erleben der Zuflucht auf ähnliche Weise in den Hintergrund treten kann, wenn wir sie jeden Tag lediglich rezitieren ohne die Bedeutung der Worte zu bedenken. Jedes Gefühl für den Prozess und die Präsenz von Zuflucht als kontinuierlicher Quelle der Inspiration und der Unterstützung kann verloren gehen, wenn wir kein Gewahrsein davon haben, was Zuflucht wirklich bedeutet.

Das Wörterbuch definiert das Wort Zuflucht als Obdach oder Schutz vor Gefahr oder Not: ein Asyl oder Rückzugsort. Daher scheint es, dass die erste Voraussetzung um Zuflucht zu verstehen, die Erkenntnis ist, dass da eine Gefahr oder ein Problem ist, vor dem wir Schutz suchen müssen. Im gewöhnlichen Leben suchen wir vielleicht vor einem gewalttätigen Partner Schutz. Wir brauchen möglicherweise Schutz vor feindseligen politischen Systemen, die grundlegende Menschenrechte missachten. Wir können Schutz vor den Schrecken des Krieges brauchen. Wir mögen Schutz suchen vor Krankheit oder Unglück, Not oder Behinderung, sozialem Druck oder Stress. Der Schirm oder Schutz, den wir finden, kann viele Formen annehmen. Es kann ein tatsächlicher Ort der Sicherheit sein, an dem wir vor einem äußeren, aggressiven Gegner geschützt sind. Es könnte ein Gebäude oder ein anderes Land oder ein neues politisches System sein. Wir suchen vielleicht Schutz bei Freunden oder Familie, brauchen finanzielle oder physische Unterstützung oder benötigen einfach eine Schulter, um uns auszuweinen oder eine starke Schulter, um uns anzulehnen. Wir bedürfen vielleicht der professionellen Hilfe durch einen Berater oder Therapeuten, der uns Schutz vor erlebter Gefahr bieten kann oder uns Strategien lehren kann, um uns selbst zu schützen. Die Gefahr kann sehr real und greifbar sein oder aber subtil oder sogar eingebildet.

Worin besteht die Gefahr oder Not im Kontext unseres Lebens als Buddhisten vor der wir Zuflucht suchen? Sie besteht in unserem eigenen begrifflichen Geist, in unserem Zwang die Wirklichkeit in dualistische Sicht aufzuspalten, in unserer Abhängigkeit von gelernten Reaktionen, verwurzelt in vorgefassten Meinungen. Wir brauchen Schutz vor unseren schlechten Angewohnheiten, die uns davon abhalten den natürlichen Zustand zu erleben. Um zu verstehen, dass wir Schutz benötigen, müssen wir verstanden haben, dass wir selbst unser Unglücklichsein oder unsere Unzufriedenheit mit dem Leben schaffen. Durch vielerlei Lebensumstände fühlen sich Menschen zum Buddhismus hingezogen. Häufig ist es das Interesse an einem anderen Lebensstil oder eine Lebenskrise, in der der gewöhnliche Geist keinen Sinn erkennen kann, was den ersten Kontakt bewirkt. Vielleicht sind wir durch unser Studium mit dem Buddhismus in Kontakt gekommen oder einfach durch Zufall. Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir uns aus einem Gefühl der Resonanz weiter mit den Belehrungen, die wir hören oder lesen beschäftigen, inspirierende Erfahrungen mit einem Lehrer machen, und eine fröhliche Zeit mit den Menschen verbringen, die wir treffen und die versuchen den buddhistischen Weg zu gehen.

Interesse durch Inspiration oder Freundschaft wird kaum echte und dauernde Früchte tragen, wenn wir nicht im Grunde unseres Wesens fühlen, dass es für uns in Samsara nichts zu tun gibt, dass uns echtes und dauerndes Glück bringt. Wir müssen verstehen, dass uns höchstes, dauerhaftes Glück nicht zuteil wird, wenn wir einen neuen Job bekommen, einen neuen Lebensstil annehmen, ein Geschäft abschließen, ein neues Haus kaufen, eine andere Art Auto kaufen, das Auto verkaufen und dafür ein Fahrrad mit Anhänger kaufen, wenn wir Vegetarier oder Veganer werden, mehr Bewegung machen, unseren idealen Partner finden, uns völlig neu einkleiden oder unsere Umgebung, unsere Arbeit, unsere Freunde ändern … Wir müssen aus eigener Erfahrung entdecken, dass der Grund für unsere Unzufriedenheit etwas Grundlegendes in uns selbst ist, und nicht etwas Äußeres, das wir beeinflussen können. Es muss uns bewusst werden, dass es in unserem Leben nichts gibt, das wir manipulieren und verändern können, das letztlich das Gefühl von Unzufriedenheit zum Verstummen bringen wird. Es ist unsere eigene Beziehung zum Erleben, die Unglücklichsein schafft.

Wir sollten das Leben schon etwas gelebt haben und gegenüber der herkömmlichen Sicht, dass das Leben darin besteht ein hohes Einkommen, bestimmte Arten von Beziehungen und eine Vielzahl von Besitztümern um uns zu haben, Zweifel hegen. Es kann auch nötig sein, dass wir schon etwas Erfolg in dieser Art von Existenz, der Praxis von Samsara, gehabt haben, und zu dem Schluss gekommen sind, dass selbst in einem erfolgreichen und glücklichen Leben etwas Unbefriedigendes liegt. Wir müssen dieses leichte Unbehagen der Unzufriedenheit, des Gefühls, dass da noch etwas anderes sein muss… oder es einen höheren Sinn geben muss, oder eine bessere Lebensweise, trotz der Tatsache, dass wir ausreichend verdienen, umgeben von einer liebenden Familie, ausgestattet mit schönem Gewand und versorgt mit gutem Essen. Menschen können an diesem Punkt ankommen ohne je Belehrungen über zyklische Existenz gehört zu haben. Es ist aber unwahrscheinlich, dass sie sich einem spirituellen Weg zuwenden, solange sie glauben, dass Samsara funktioniert, wenn sie nur den Dreh heraus bekommen oder einfach Glück haben.

Augenblicke der Erkenntnis der völligen Zwecklosigkeit von allem, was wir tun, können dazu führen, dass wir im Alkohol- oder Drogenrausch Vergessen suchen, ein wildes Leben führen bis wir kollabieren, oder in eine Depression versinken, in der wir versuchen die Welt und unser Leben zu vergessen. Unsere gewöhnlichen Freunde werden herrlich elende Stunden, in denen wir unser unglückliches Los beweinen, mit uns teilen. Durch die Kraft von Unglück und Verzweiflung fühlen wir uns sicher. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass wir jemanden treffen, der uns empfiehlt, dass wir Beschuldigungen, Rechtfertigungen und Selbstmitleid lassen sollten und stattdessen die Verantwortung dafür übernehmen sollten, wie es uns geht. Wir würden so jemanden für verrückt halten, dass er es in Betracht zieht, dass wir dafür verantwortlich sind, dass wir so unglücklich sind, wo es doch so offensichtlich ist, dass es an der glücklosen Hand liegt, die uns das Schicksal zugeteilt hat. Gelegentlich dämmert es uns möglicherweise, dass die Ursache für dieses Gefühl der Unzufriedenheit tief in uns liegt und es einen Weg geben muss an diesem Grund zu arbeiten und etwas zu ändern. Aber es ist wahrscheinlicher, dass wir auf eine therapeutische Lösungsmöglichkeit stoßen, als auf eine spirituelle. Selbst die besten Therapien der Welt behandeln den wahren Grund für unseren Zustand nur mit Heftpflaster und versagen dabei, die Wurzel unseres Unglücklichseins zu benennen. Nur wenn wir sehr viel Glück haben, stoßen wir auf einen spirituellen Pfad, der eine echte Aussicht auf ein Verstehen der Unzufriedenheit und Methoden für ihre Überwindung bietet. Und nur, wenn wir uns im richtigen Geisteszustand befinden und in der richtigen Gesellschaft und mit der richtigen Reihe von Belehrungen, gegeben vom richtigen Lehrer, gibt es eine Möglichkeit, dass wir tatsächlich damit beginnen uns einem spirituellen Weg als Praktizierende zu widmen.

Wenn wir auf unserer Suche nach dem Grund für unsere Unzufriedenheit auf den buddhistischen Weg treffen, werden wir bald zu verstehen beginnen, dass es unsere eigene gelernte, neurotische Reaktion auf unsere Wahrnehmungen ist, die uns Schmerz und Verlust, Angst und Panik, Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit erleben lässt. Wir werden lernen, dass unser zwanghaftes Suchen nach Bezugspunkten verhindert, dass wir nackt und direkt wahrnehmen. Wir heften Begriffe an all unsere Erlebnisse, um ein Gefühl von Sicherheit und Solidität auf zu bauen, im Glauben, dass wir dadurch, dass wir fortlaufend unser Erleben Planen und Filtern, vor einer vagen Gefahr sicher sind. Auf neutrale Bemerkungen reagieren wir vielleicht verteidigend, weil wir den Worten, die wir hören etwas Bedrohliches hinzufügen. Wir können, weil wir uns irgendwo in uns leer fühlen, nicht nur einen Schokoriegel essen, denn wenn wir nicht alle Riegel essen, die wir bekommen können, dann wird unter Umständen jemand anderes sie alle besitzen und wir werden niemals wieder welche bekommen. Mit Teilen unserer Umgebung beschäftigen wir uns nicht, weil sie uns einfach egal sind oder weil wir den Eindruck haben, dass sie zu unserer Selbstdefinition nichts beitragen können. Schritt für Schritt werden wir verschlossener und unbeweglich und es fällt uns schwerer neuen Erfahrungen gegenüber offen und enthusiastisch zu sein.

Sobald wir durch das Hören oder Lesen von Belehrungen, durch das Besuchen von Kursen und Retreats und das Treffen anderer Menschen, die den Methoden der Praxis folgen, in der Lage sind Erfahrungen auf dem buddhistischen Weg zu sammeln, erlangen wir ein Gefühl von Vertrauen. Wir fühlen uns durch die Belehrungen inspiriert. Wir wollen uns entwickeln und streben nach den Qualitäten der großen Praktizierenden, von denen wir hören oder die wir vielleicht sogar treffen. Wir machen Erfahrungen mit Meditation und bekommen eine Ahnung vom Nutzen, den diese Praxis bringen könnte. Wir beginnen zu entdecken, dass bestimmte Arten unserer Erlebnisse unsere erleuchtete Natur sind, die durch das Gewebe unserer Verzerrung blitzt. Wir finden, dass wir die Leute mögen, die ebenfalls praktizieren und haben das Gefühl, dass sie unsere Freunde werden könnten. Wir respektieren sie und erkennen, dass sie versuchen gute Menschen zu sein und ihr Leben ehrlich und freundlich, mit Energie und Enthusiasmus, zu leben. Unsere Sicht weitet sich ein wenig und wir beginnen die Möglichkeit einer anderen Perspektive auf das Leben zu sehen –eine subtile und zarte Verschiebung, die großes Potential birgt. An diesem Punkt entschließen wir uns Zuflucht zu nehmen und uns dem buddhistischen Weg als der gewählten Route aus der Unzufriedenheit in die Erfahrung von reiner und völliger Zufriedenheit zu widmen.

Kyabjé Dilgo Khyentsé Rinpoche lehrte:
Du solltest Offenheit auf dem Spielplatz deiner Emotionen verwirklichen und Menschen ohne Künstlichkeit, Manipulation oder Strategie begegnen. Du solltest alles total erleben, dich niemals wie ein Murmeltier in dein Loch zurückziehen.

Diese Übung setzt enorme Energie frei, die üblicherweise durch den Prozess des Aufrechterhaltens fester Bezugspunkte gebunden wird. Das Sich-beziehen auf Bezugspunkte ist jener Prozess, durch den wir uns von der direkten Erfahrung des täglichen Lebens zurückziehen. Es kann anfangs angsteinflößend sein im Moment gegenwärtig zu sein, aber dadurch, dass man das Gefühl der Angst mit völliger Offenheit willkommen heißt, durchbricht man die Barrieren, die durch gewohnte, emotionale Reaktionsmuster geschaffen wurden.

Manchmal machen neue Übende kraftvolle und grundlegende Erfahrungen, wenn sie mit der Praxis beginnen. Augenblicke von Rigpa können durch das anfängliche Beenden des Kampfes zur Aufrechterhaltung der Prozesse von Samsara und durch das Entspannen in einen offeneren Zustand spontan auftreten. Wir entspannen uns und erkennen, dass die letztendliche Natur unseres Geistes die erleuchtete ist. Wir entspannen uns und erkennen, dass die letztendliche Natur unserer Sicht(weise) die erleuchtete ist. Wir entspannen uns und erkennen, dass die letztendliche Natur unserer Beziehung mit unserer körperlichen Form und unserer Umgebung die erleuchtete ist. Letztendlich ist Zuflucht auf dieser Ebene ohne Sinn, so wie die Notwendigkeit Vertrauen aufzubauen, denn aus der Perspektive des erleuchteten Geistes kann es keine Gefahr und keinen Bedarf nach Schutz geben. Das ist die einzige Sicherheit, die wir jemals entdecken können: spontane nicht-duale Verwirklichung auf einer Moment-zu-Moment-Basis. Das ist (die) Befreiung von den Ursachen der Unzufriedenheit.

Diese Verwirklichung ist unsere Zuflucht auf letztendlichem Niveau, der Ebene von Dzogchen, Yang-sang. Zuflucht wird in Ngowo, Rang-zhin und Thug-jé gegeben; die Essenz, Natur und Energie der Erleuchtung. Das ist Freiheit von Bezugspunkten, völlige Offenheit, Gegenwart und direkte Erfahrung. Wenn wir uns dem freien Fall des gegenwärtigen Moments anvertrauen können, dann werden wir die weite, offene Ausdehnung unseres anfangslos erleuchteten Geistes befreit haben.

Ngak’chang Rinpoche sagt:
Wenn du aus sehr großer Höhe zu Tode stürzt, wäre es schade die Aussicht nicht zu genießen während man fällt oder den Wind in den Haaren oder die Wärme der Sonne im Gesicht nicht zu schätzen. Die unmittelbare Elektrizität des Lebendigseins zu erfahren, erfordert, dass wir lernen Honig von der Klinge des Rasierers zu lecken.

Unglücklicherweise befinden wir uns nur gelegentlich in solcher Geistesgegenwart, dass wir diese Dzogchen-Sicht realisieren können. Daher ist es wahrscheinlich notwendig von einer etwas weniger subtilen oder tiefgründigen Perspektive an Zuflucht heran zu gehen. Wenn wir Shi-nè üben, dann lassen wir los und lassen sein. Die wahre Praxis von Shi-nè ist das Ting-ngé’dzin von né-pa: nicht verwickelt bleiben. Wir erlauben unserem Geist im Raum des Geistes ohne Gedanken, Emotionen, oder Empfindungen zu verweilen. Es ist uns üblicherweise nicht möglich sofort in die Übung des Entdeckens der Leerheit auf der Ebene der ting-ngé'dzin zu tauchen. Also brauchen wir Methoden um uns der Praxis anzunähern bis wir uns ihr völlig widmen können. Wir benützen den Atem als Fokus, damit wir in der Lage sind unsere Präsenz mit der geringstmöglichen Beachtung des Atems zu erreichen. Das ermöglicht uns los zu lassen und sein zu lassen ohne unser Gewahrsein im weiten Ozean der Leerheit, den wir durch die Praxis entdecken, zu verlieren. Es erlaubt uns auf die Frucht der Praxis von Shi-né, Né-pa, hin zu arbeiten, bevor wir eigentlich so weit sind uns voll darauf einzulassen.

Unsere Erfahrung von Zuflucht kann ähnlich sein. Wir finden, dass die Tiefgründigkeit der letztendlichen Zuflucht zu viel für uns ist. Wir können in der bezugslosen Ausdehnung der Erleuchtung nicht weiter bestehen. Zweifel stellen sich ein und das Leben findet statt, und wir finden uns in einem vom Zustand der Nicht-Dualität, der Erleuchtung, sehr verschiedenen Zustand. Zu diesem Zeitpunkt ist Lhündrup, Spontaneität, keine gelebte Wirklichkeit. Wir können durch Dzogchen- Übertragung immer wieder in Rigpa eingeführt werden. Aber in der Zwischenzeit müssen wir unser Gefühl von Vertrauen und unser Verständnis von der Sicherheit der Nicht-Sicherheit wohl auf einem weniger subtilen und tiefgründigen Niveau begründen, damit Zuflucht für uns weiterhin eine gelebte Wirklichkeit und nicht ein Märchen ist.

Zuflucht auf geheimer Ebene, der Ebene der inneren Tantras, sang, ist Zuflucht auf einer etwas weniger subtilen und letztendlichen Stufe. In den inneren Tantras wird der erleuchtete Zustand durch Gewahrseinswesen symbolisiert. Das Verhältnis zu Gewahrseinswesen ist durch völlige Identifikation gekennzeichnet. Man verwandelt sich durch transformierende Übungen, die den psychischen Körper direkt berühren, in die Essenz, Natur und Energie des Gewahrseinswesens. Zuflucht wird in die Thiglé, rLung und rTsa genommen. Die Thiglé sind die Element-Essenzen, die unser Wesen auf den feinsten Ebenen repräsentieren.

rLung ist der psychische Wind, der durch die rTsa fließt, die psychischen Kanäle des feinstofflichen Körpers. Der Geist reitet auf dem rLung und durchdringt den feinstofflichen Körper. Diese Zuflucht ist geheim, weil wir sie nur dann in unserem Herzen halten können, wenn wir unseren feinstofflichen Körper als das Potenzial zur Erleuchtung erlebt haben: dass wir die Thiglé als Basis unserer Erleuchtung in der Sphäre von Chö-ku kennen; dass wir rLung als Basis der Erleuchtung in der Sphäre von Long-ku kennen; und, dass wir rTsa als Basis unserer Erleuchtung in der Sphäre von Trül-ku kennen.

Durch Identifikation mit dem Yidam erfährt man Rig-pa direkt. Der Yidam repräsentiert ein Symbol für unsere Erleuchtung auf der subtilsten Ebene. So wie bei der Shi-né-Praxis benützen wir das geringste Gewahrsein des Atems als Fokus, wenn wir nicht in der Lage sind einfach los und sein zu lassen. Auf diese Weise bietet die Identifikation mit dem Yidam den feinsten Fokus um dabei zu helfen der Erfahrung von Transformation inne zu bleiben. Die Übungen des rTsa-rLung-Systems versetzen uns in die Lage Vertrauen in das Potenzial der Transformation unserer Erfahrung auf der Ebene von Energie, Emotion, Vision und Empfindung zu entwickeln. Wir entspannen uns und haben Vertrauen, dass sich unsere gewöhnliche Sicht durch die Kenntnis der nicht-dualen Natur der Elemente in erleuchtete Sicht umwandeln kann.

Wir erfahren Schmerz und Verwirrung, weil wir davon abhängig sind unser Erleben in Leerheit und Form aufzuspalten, wobei wir Leerheits-Erfahrungen ablehnen und Form-Erfahrungen suchen. Deshalb kann der Territorialismus, den wir durch unseren Wunsch die leere Formqualität des Erdelements zu erzeugen und unserer Ablehnung seiner leidenschaftlichen Leerheitsqualität (, die wir als Hohlheit und Unsicherheit erleben) durch Entspannung geöffnet und in eine geeinte Erfahrung von Großzügigkeit und Gleichmut umgewandelt werden. Die Aggression, die wir durch unseren Wunsch die leere Formqualität des Wasserelements zu verfestigen, hervorrufen, und unsere Ablehnung seiner leidenschaftlichen Leerheitsqualität (, die wir als Furcht erfahren) kann durch Entspannung geöffnet und in eine geeinte Erfahrung der Klarheit transformiert werden. Die Besessenheit, die wir durch unseren Wunsch die leere Formqualität des Feuerelements zu konsolidieren erzeugen, und unsere Ablehnung seiner leidenschaftlichen Leerheitsqualität (, die wir als Isolation erleben) kann durch Entspannung geöffnet und in eine geeinte Erfahrung nicht-unterscheidenden Mitgefühls transformiert werden. Den Argwohn und die Paranoia, die wir durch unseren Wunsch die leere Formqualität des Luftelements zu konsolidieren erzeugen, und unsere Ablehnung seiner leidenschaftlichen Leerheitsqualität (, die wir als unbegründete Angst erleben) können durch Entspannung geöffnet und in eine vereinigte Erfahrung sich-selbst-vollendender Aktivität transformiert werden. Die Depression, die wir durch unseren Wunsch die leere Formqualität des Raumelements zu konsolidieren erzeugen, und die Ablehnung seiner leidenschaftlichen Leerheitsqualität (, die wir als Verwirrung erleben) kann durch Entspannung geöffnet und in eine geeinte Erfahrung von universeller Intelligenz transformiert werden.

Jeder Umstand unseres Lebens ist ein potentieller Ausgangspunkt einer gelernten Reaktion, einer Reaktion wie ein Kniesehnenreflex über die wir keine Kontrolle haben, in der es keine Raumhaftigkeit gibt und bei der wir keine Wahl haben. Unsere Zuflucht ist das Erkennen dieser Gefahr und das Verständnis, dass die transformierenden Praktiken der Inneren Tantras uns von unserer gelernten oder gewohnten Reaktion befreien können. Wir nehmen Zuflucht in die Wirklichkeit des Vorgangs der Transformation unserer Element-Natur, die wir durch die rTsa-rLung- Übungen zu verstehen beginnen.

Dennoch kann es sein, dass der psychische Körper wenig oder keine Bedeutung für uns hat, und, dass es uns unmöglich ist Vertrauen in die Möglichkeit der Erleuchtung durch die Belehrungen und Praktiken des rTsa-rLung zu entwickeln. Wenn unser Erfahrungsniveau nicht dem der Inneren Tantras entspricht, dann können wir unsere Erfahrung von Zuflucht nicht auf diesem Niveau halten. Wenn unser Erfahrungsniveau eher dergestalt ist das Gewahrseinswesen als einen erstrebens- und nachahmenswerten Zustand zu betrachten, dann haben wir Vertrauen auf der Stufe von nang, innerer Zuflucht, äußeres Tantra. Hier wird Zuflucht in Lama, Yidam und Khandro/Pawo genommen.

Der Lama ist die Quelle von Inspiration und Übertragung. Durch Übertragung gibt uns der Lama die Möglichkeit das Gewahrseinswesen direkt zu erfahren, den erleuchteten Zustand, verkörpert im kommunikativen Symbol des Gewahrseinswesens, zu erleben. Ohne den Lama ist es nicht möglich diese Erfahrung zu machen. Dies gilt auch für die geheimen und letztendlichen Ebenen der Praxis, weil die Übertragung des Inneren Tantra, und direkte Einführung in Dzogchen auch nur durch den Lama möglich sind. Der Lama bezieht sich auch auf den Inneren Lama – unseren eigenen, anfangslos erleuchteten Geist. Erleuchtung blitzt durch, ob wir Praktizierende sind oder nicht, aber nur durch die Weisheit und die Güte des äußeren Lama können wir das Glitzern der Erleuchtung zu erkennen lernen und dessen Häufigkeit erhöhen. Wenn wir uns zu sehr auf die Weisheit des Inneren Lama verlassen, können wir uns leicht selbst täuschen und in die Irre gehen. Das kann uns in einen Strudel der Selbstbezogenheit und der eingebildeten Verwirklichung stürzen. Wenn wir glauben, dass wir unseren Weg in einer unbekannten Stadt durch Instinkt finden können und uns weigern nach dem Weg zu fragen, könnten wir unser gesamtes Leben damit zubringen im Kreis zu gehen, möglicherweise gelegentlich unser Ziel flüchtig erkennen, aber es nie schaffen dort auch anzukommen.

Wir haben vielleicht das Glück gehabt Kontakt zu einem echten Lama, der uns leiten und Übertragung anbieten kann, zu bekommen. Wir haben möglicherweise Vertrauen in diesen Menschen –oder in diese Menschen im Falle von Lamas, die lehrende Paare sind, wie Ngak’chang Rinpoche und Khandro Déchen –und fühlen uns durch ihre Belehrungen und ihre Gegenwart inspiriert. In diesem Fall ist es recht leicht ein starkes Gefühl dafür zu haben, was es bedeutet zu einem Lama Zuflucht zu nehmen. Durch persönliche Erfahrung haben wir Vertrauen darin entwickelt, dass uns der Lama zur Erleuchtung führen kann. Wir haben Vertrauen darin, dass ihre Sicht scharfsinniger und tiefgründiger ist und nicht so verschanzt hinter Verzerrung und Verwirrung wie unsere. Wir haben wahrscheinlich Vertrauen darin, dass unser Lama sehr verwirklicht ist. Er repräsentiert einen Hort der Sicherheit, da er die Fallstricke und den Schmerz verzerrter Sichtweise erkennt und in der Lage ist, sowohl einen Weg anzubieten dies in erleuchtete Sicht zu verwandeln, als auch unserer Anhaftung an unsere verzerrte Sichtweise nicht nachgeben wird. Der Lama wird uns nicht mit tröstlichen Worten und Schmerzstillern beruhigen, sondern wird uns mit unseren Neurosen konfrontieren. Das ist nicht Schutz im Sinne von Trost und herkömmlicher Sicherheit, aber Schutz im Sinne von Wirklichkeit und der Sicherheit der Nicht-Sicherheit. Die einzige Sicherheit, die wir verwirklichen können, ist die, dass es so etwas wie Sicherheit in einem materiellen Sinn nicht gibt. Sobald wir das verwirklichen können, werden wir sofort sicher sein, weil wir nicht länger die Notwendigkeit verspüren an irgendetwas fest zu halten oder unsere Erfahrung durch Bezugspunkte zu definieren. Der Lama erinnert uns fortwährend an unseren Mangel an Festigkeit, Dauerhaftigkeit, Getrenntheit, Gleichförmigkeit und Definiertheit, und übermittelt die gelebte Bedeutung dessen.

Der Yidam ist das Gewahrseinswesen, das Symbol der vollen Erleuchtung, der sich in Myriaden Formen manifestiert, um auf die Myriaden Formen der Unerleuchtetheit einzugehen. In der Zuflucht in dieser Entstehungsphase des Tantra ist der Yidam ein lebhaftes, mehrdimensionales Wesen der Macht und der Wirksamkeit, das wir nachahmen wollen. Wir nähern uns der direkten Erfahrung des Gewahrseinswesens durch symbolisches Ritual an. Wir visualisieren den Yidam und rezitieren das Mantra und versuchen uns zu jeder Zeit des Gewahrseinswesens bewusst zu sein. Wenn wir handeln, dann versuchen wir auf eine Weise zu handeln, die der von jemandem angemessen ist, der danach strebt ein erleuchtetes Wesen zu sein. Wenn wir kommunizieren, tun wir das auf eine Art, die eines angehenden Yidams würdig ist. Wenn wir ein Vorhaben planen, dann versuchen wir sicher zu stellen, dass unsere Absicht in der entsprechenden Sichtweise wurzelt. Der Yidam ist die Methode der Transformation. Wir halten das Gefühl und die Sicht des Yidam und das transformiert unser gewöhnliches Erleben. Unser Vertrauen in die Macht des Gewahrseinswesens verleiht unserer Fähigkeit, uns selbst zu transformieren, Macht.

Die dritte Quelle der Zuflucht, auf der Ebene des äußeren Tantra, ist Khandro/Pawo. Das ist unsere Erfahrung der Realität als einer Reflektion unserer verwirklichten inneren Natur. Für Frauen ist das Pawo. Frauen sind äußerlich Khandro, weiblich, Weisheit, und innerlich, Pawo, männlich, Methode. Für Männer ist das Khandro. Männer sind äußerlich Pawo, männlich, Methode, und innerlich Khandro, weiblich, Weisheit. Durch die Praxis, die äußere Welt aktiv als unsere innere Natur zu erleben, verwirklichen wir die Nicht-Dualität von Weisheit und Methode, von Leerheit und Form. Das Verständnis, dass alle äußere Realität das Potential hat zu einer Quelle der Inspiration und der Realisation zu werden, wird zu unserer Zuflucht. Statt uns als, von den unbeständigen Winden des Erlebens hin und her geworfene und übel zugerichtete, Opfer der Wirklichkeit zu fühlen, wird alles Erleben leidenschaftlich leer und voll Potenzial für realisierte Form. Wir können unsere Zuflucht in Khandro/Pawo als die völlige Offenheit gegenüber jeder Erfahrung verstehen. Wir können unsere Beziehung zur Wirklichkeit nicht länger unseren Eltern, unserer Erziehung, unserem Pech, unserem Partner, unseren Kindern, unserer Gesundheit, unserer finanziellen Situation, unserer Arbeit in die Schuhe schieben. Wir müssen uns der absoluten Verantwortung für alle unsere Reaktionen stellen. Wir anerkennen, dass wir, was immer uns geschieht, die Wahl haben wie wir reagieren. Wir können unseren Ärger, unseren Zwang oder unsere Gleichgültigkeit nicht länger rechtfertigen, sondern müssen offen und ehrlich akzeptieren, dass wir uns entschieden haben mit unseren gelernten Reaktionen fortzufahren, dass wir den gewohnten Programmen erlauben weiterhin abzulaufen.

Zuflucht wird in den Confederate Sanghas of Aro auf dieser inneren Stufe angeboten, der Ebene des äußeren Tantra. Selbst wenn wir innerhalb einer tantrischen Tradition praktizieren, können wir uns manchmal außer Stande sehen unsere Zuflucht in der Sicherheit der Nicht-Sicherheit von Lama, Yidam und Khandro/Pawo zu finden. Diese Ebene der Zuflucht mag immer noch zu subtil sein, um greifbar zu sein und wird zu diesem Zeitpunkt auf der äußersten Ebene gehalten. Das ist die Stufe von chi, Sutra, die äußere Zuflucht. Hier nehmen wir Zuflucht zu Buddha, Dharma und Sangha. Buddha ist das vollständig erwachte Wesen, der Erleuchtete. Dharma ist die Methode oder der Pfad, der zur Erleuchtung führt, die Lehren des Buddha. Sangha ist die Gemeinschaft der Praktizierenden, die die Belehrungen und Übungen der Buddhas in die Tat umsetzen.

Der sutrische Pfad ist ein Pfad der Entsagung. Wir erkennen unsere eigenen unerleuchteten Aspekte und betrachten sie als Hindernisse zur Verwirklichung, die überwunden werden müssen. Wir erkennen wie sehr sich unsere Lebensweise von der unterscheidet, die vom Buddha empfohlen wurde und entsagen unseren Gewohnheitsmustern. Wir bemühen uns Aufmerksamkeit zu entwickeln, damit wir ungeschickte Handlungen so schnell wie möglich erkennen und durch geschickte Handlungen ersetzen können oder wenigstens von nutzlosem Tun absehen. In der Meditation üben wir unser Streben nach Erleuchtung, durch das Meditieren auf Güte und mitgefühlvolles Handeln, durch das Visualisieren von lobenswerter Absicht und durch das Sammeln von Erfahrung mit Leerheit. Daher versuchen wir das Ungeschickte in unserem Verhalten zu unterdrücken und das Geschickte zu stärken, während wir das Verständnis der Leerheit von Wahrnehmung und Handlung entwickeln.

In gewissem Sinne taucht uns äußere Zuflucht wieder geradewegs in die letztendliche Qualität der Dzogchen-Zuflucht, da die Zuflucht zu Buddha die Hinwendung zum erleuchteten Zustand selbst ist, als einem Hort der Sicherheit. Buddha ist vollständig erleuchtet, völlig frei von gelernter Reaktion und verzerrter Energie, und hat die Nicht-Dualität von Methode und Weisheit, von Form und Leerheit realisiert. In Buddha Schutz zu suchen bedeutet das Ideal des erleuchteten Zustandes zu erkennen, in seine Wirklichkeit Vertrauen entwickelt zu haben, und die Möglichkeit für das eigene Erwachen zu diesem Zustand zu sehen. Im tibetischen Buddhismus wird häufig „Lama“ vor Buddha, Dharma und Sangha gesetzt, weil der Lama den Schüler mit dem erleuchteten Zustand und den Übungen, die dahin führen, bekannt macht, so wie er der Anreiz ist den inneren Lama zu erwecken.

Die zweite auf dieser Ebene ist die Zuflucht in Dharma, die Lehren des Buddha. Wir setzen Vertrauen darin, dass die Belehrungen und Übungen, die vom historischen Buddha bis zu uns überliefert und uns von einem lebendigen Lama gegeben wurden, unser Leben verändern. Wir merken, dass wir uns ändern. Wir werden vielleicht weniger aggressiv und selbstsüchtig, wir finden es vielleicht auch leichter tolerant und geduldig zu sein und die Bedürfnisse anderer vor die eigenen zu stellen und wir erkennen möglicherweise, dass wir uns schlicht ruhiger und mehr im Frieden mit uns selbst und unseren Lebensumständen fühlen. Durch das Beobachten und Schätzen dieser Veränderungen fühlen wir uns zuversichtlich mit den Übungen fortzufahren und gelangen zu der Überzeugung, dass wir uns mit der Praxis auch weiterhin entwickeln werden.

Indem wir Belehrungen hören und an Übungen teilnehmen, lernen wir andere Praktizierende kennen. Diese Menschen können eine wertvolle Quelle der Unterstützung, der Ermutigung und der Inspiration sein. In Zeiten von Zweifel und Schwierigkeiten wenden wir uns vielleicht an diese Menschen und ihre Praxisorientierung, statt uns herkömmlicherem Trost wie psychologischer Beratung, einem Besuch im Pub oder bei unseren Eltern zuzuwenden. Auf diese Weise entwickeln wir unser Vertrauen und Zuflucht in Sangha, die Gemeinschaft der Praktizierenden.

Das Thema, das alle Stufen von Zuflucht durchzieht, ist die Zuflucht von Nicht-Zuflucht oder Sicherheit von Nicht-Sicherheit. Durch Praxis verstehen wir, dass es keinen Zustand oder kein Objekt gibt, das uns Schutz vor den Neurosen unseres eigenen Geistes gewähren kann. Wir gelangen zu dem Verständnis, dass der einzige Weg wie wir vom gelernten Muster von Wahrnehmung und Reaktion und von der Verwirrung, die aus unseren Versuchen Form und Leerheit zu trennen, entsteht, befreit werden können, der ist, nach dem erleuchteten Zustand und der spontanen Verwirklichung der Nichtdualität von Form und Leerheit zu streben. Dieses Vertrauen und Zuflucht können für uns nur durch Praxis lebendig und von Nutzen bleiben. Wir nehmen vielleicht an einer Zeremonie teil und erhalten einen Zufluchtsnamen, aber praktizieren nie. Wir können dann nicht behaupten Zuflucht zu halten, da Praxis das Herzblut der Zuflucht ist. Vielleicht nehmen wir aber auch nie an einer Zeremonie teil oder erhalten keinen Zufluchtsnamen, aber halten dennoch Zuflucht als gelebte Wirklichkeit Tag für Tag, indem wir uns bemühen die Sichtweise zu leben. Unser Gefühl für den lebendigen Faden der Praxis und der Inspiration, der unser Leben durchzieht, wird in Qualität und Tiefe von Tag zu Tag zunehmen, wodurch die Stufe unserer Zuflucht kein fixierter Zustand bleibt. Die Sicht leben, ist Zuflucht: Die Frustration und den Ärger, den wir erleben, als Gelegenheiten zur Verwirklichung zu erkennen, so (sehr) wie die Freude und die Liebe.


Dieser Artikel erschien erstmals in Vision, Herbst/Winter 1999, unter dem Titel „Lotus der Weisheit –Zuflucht“ von Ngakma Nor’dzin Pamo.